Seit den 1970er Jahren spielen Jugendliche und Erwachsene Videospiele. Was mit Pong angefangen hat, ist mittlerweile zu einem Kulturgut geworden, dessen Mechanismen nicht nur in der virtuellen Welt funktionieren. Gamification heißt eine der Methoden, bei denen die bekannten Spielprinzipien mit Punkten, Highscores und Bestenlisten dazu genutzt werden, spielerisch Wissen und Fertigkeiten zu vermitteln oder zum Lernen zu motivieren. SpardaSurfSafe, eine Initiative der Stiftung Bildung und Soziales der Sparda-Bank Baden-Württemberg, erklärt, wo Gamification zum Einsatz kommt und wie es auch in den Lernprozess in der Schule integriert werden kann.
Es ist Montagmorgen, die Schüler der 6b sitzen gespannt im Klassenzimmer, während ihr Lehrer die App zu Classcraft aufruft, um die Tagesquest zu erhalten. Danach folgt wie jeden Morgen die Kontrolle der Hausaufgaben. Paul hat sie heute vergessen. Dafür erhält er 10 Schadenspunkte, als Magier muss er jetzt aufpassen, dass er heute gut mitarbeitet, denn als solcher hat er weniger Health Points (HP) als beispielsweise sein Sitznachbar Amir, der als Krieger deutlich mehr Schadenspunkte verträgt. Glücklicherweise hat er aber auch Lilli im Team, die als Heilerin einen Teil seiner HP wiederherstellen kann. Zusammenarbeit ist wichtig, damit das Team nicht geschwächt wird. Über den Beamer zeigt der Lehrer nun eine Landkarte mit verschiedenen Stationen. Diese repräsentieren die einzelnen Schulstunden und Fächer, die heute auf dem Programm stehen. Zwischendurch gibt es immer wieder kleine „Kämpfe“ – kurze Fragerunden zum Stoff, bei denen sich die Schüler:innen Erfahrungspunkte und Goldstücke verdienen können, über die sie in Classcraft im Level aufsteigen oder sich Items und Fähigkeiten kaufen können.
So oder so ähnlich könnte ein Schultag in einer Klasse aussehen, in der Lehrkräfte auf Gamification setzen, um die Motivation der Schüler:innen zu erhöhen. Dabei werden typische Elemente bekannter Spiele in einen neuen Kontext eingebettet, hier beispielsweise in den Unterricht. Dazu gehören:
- Ranglisten, die zeigen, wo man im Vergleich zu den Mitspielenden steht
- Quests, also kleine oder größere Aufgaben, die erledigt werden müssen, um Punkte, Fähigkeiten und Spielwährung zu erhalten
- Ein sichtbarer Status des Spiel- oder Questfortschritts
- Direkte Rückmeldung, wenn eine Aufgabe erfolgreich abgeschlossen wurde
„Gamification ist zuerst vor allem in der Werbeindustrie zum Einsatz gekommen, um die Kundenbindung zu erhöhen. Doch angesichts der Tatsache, dass Computerspiele bereits seit über 40 Jahren bei vielen Menschen mehr oder weniger fester Bestandteil des Lebens sind, ergibt es durchaus Sinn, diese Mechanismen auch zur Vermittlung von Lerninhalten zu nutzen. In unserem Beispiel kommen viele Faktoren vor, die auch Teil von Rollenspielen wie World of Warcraft sind. Die Regeln sind daher bereits vielen Schüler:innen vertraut und gehen in der gamifizierten Lernumgebung auf“, erklärt Götz Schartner vom Verein Sicherheit im Internet e. V., einem der Mitveranstalter von SpardaSurfSafe. Als ein weiteres Beispiel für Gamification im Unterricht nennt er eSquirrel. Die App bietet digitale Zusatzmaterialien zu Schulbüchern, mit denen der Unterrichtsstoff selbstständig wiederholt werden kann. Schüler:innen können hier Quests (Lerneinheiten) erledigen, dabei Nüsse (Punkte) sammeln und auf einem Leaderboard (Rangliste) sehen, wie sie im Vergleich zu ihren Mitschülern abschneiden. „Allerdings werden nur die oberen 33 Prozent in der Rangliste und der eigene Platz angezeigt, damit sich niemand schlecht fühlt, wenn er sich ganz unten wiederfindet. Das würde der Motivation nämlich eher schaden“, so Schartner.
Doch warum funktioniert Gamification im Unterricht überhaupt?
Studien haben ergeben, dass viele beliebte Videospiele drei grundlegende Bedürfnisse befriedigen: Man agiert unabhängig, kann also selbst Entscheidungen treffen, man kann seine Kompetenz, also die Fähigkeit zeigen, Herausforderungen zu meistern, und folgt seinem Bedürfnis nach Beziehungen, was sich dann beispielsweise im Teamplay äußert. Diese Faktoren sind laut Bildungsforschern auch für die Motivation und Lernbereitschaft ausschlaggebend und steigern beides. „Und natürlich sollte man auch nicht vergessen, dass es Spaß macht und manchmal ein bislang verborgener Ehrgeiz zum Vorschein kommt“, schmunzelt Schartner.
Also sollten alle Schulen schnellstmöglich ihren Unterricht „gamifizieren“?
„Ganz so einfach ist es nicht, denn es gibt durchaus auch Kritik an Gamification“, warnt Schartner. „So besteht die Gefahr, dass eine Spielsucht ausgelöst wird.“ Pädagogen sehen außerdem Probleme beim Einsatz von Gamification in der Schule: Im Gegensatz zum herkömmlichen Unterricht, in dem offen gefragt und diskutiert werden kann, seien Schüler:innen bei Gamification an vorgegebene Prozesse gebunden. Damit würden sie zu Spielern degradiert, Lehrerkräfte zu Spielleitern und Lernbegleitern.
Über SpardaSurfSafe – eine Initiative der Stiftung Bildung und Soziales der Sparda-Bank Baden-Württemberg
Veranstalter und Träger von SpardaSurfSafe ist die Stiftung Bildung und Soziales der Sparda-Bank Baden-Württemberg, die gemeinsam mit dem Kultusministerium Baden-Württemberg, dem Verein Sicherheit im Internet e. V. und dem Landesmedienzentrum Baden-Württemberg das Großprojekt im achten Jahr durchführt. In Kooperation mit den IT-Sicherheitsexperten der 8com GmbH & Co. KG wurde ein Konzept entwickelt, das die Schüler im Rahmen des Unterrichts im Umgang mit den Neuen Medien aufklärt. „Wir haben das Konzept in den vergangenen Jahren erfolgreich in 32 verschiedenen Städten in Baden-Württemberg mit rund 420.000 Teilnehmern durchgeführt. Dafür bekommen wir durchweg positives Feedback von den Teilnehmern, ob Schüler, Eltern oder Lehrer“, erklärt Patrick Löffler vom Verein Sicherheit im Internet e. V.